Willkommen auf der Seite des Solidaritätskreises Menschenwürdige Pflege
 

 

Berichte

Im Gerichtssaal

gespannte Gesichter


Ein Solidaritätskreis ensteht ...
Wie alles begann

Eigentlich begann es auf der Montagsdemo gegen Hartz IV und Agenda 2010 im Dezember 2004. Eine resolut wirkende Frau namens Brigitte Heinisch erzählte eine unglaubliche Geschichte: Als examinierte Altenpflegerin hat sie wegen der unwürdigen Pflege- und Arbeitsbedingungen ihren Arbeitgeber bei der Staatsanwaltschaft wegen Betrug und Nötigung angezeigt. Betrug, weil Pflegeleistungen, die nicht geleistet werden können, bei den Pflegekassen abgerechnet wurden. Nötigung, weil die Pflegedienst- und Heimleitung die Kolleginnen und Kollegen unter Druck setzten, diese Pflegedokumentation zu unterschreiben.
Außerdem wurde sie unter Androhung von Konsequenzen verdonnert, den Patientenangehörigen bei Beschwerden zu verschweigen, dass aufgrund von Personalmangel die vertraglich zugesagte Pflege nicht erfüllt werden kann. Sie sollte sich nette Ausreden einfallen lassen.
Brigitte ging alle internen Wege, um auf die Missstände aufmerksam zu machen. Mit Kolleginnen und Kollegen schrieb sie Überlastungsanzeigen, informierte den Aufsichtsrat, die Heimaufsicht, den zuständigen Betriebsrat und die zuständige Gewerkschaft Verdi. Der Medizinische Dienst stellte 2003 schwerwiegende Mängel fest. Es änderte sich nichts. Brigitte konnte diese Zustände nicht verkraften und wurde wie andere Kolleginnen krank. Sie geriet in eine Situation, die eine Entscheidung erforderte. Als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern wollte sie ihnen die Werte vermitteln, für die sie stand: Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen und man muss den Mund gegen Ungerechtigkeiten aufmachen. Erst recht da, wo auf Kosten von Menschen Profit gemacht werden soll. Erst recht da, wo die Menschen sich nicht wehren können, weil sie zu alt und krank sind.
Brigitte empfand den Artikel im Grundgesetz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ zynisch, im Forum für Senioren war dieser offensichtlich außer Kraft gesetzt. Die Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren gegen Vivantes ohne Begründung ein. Zwei Tage später hatte Brigitte ihre krankheitsbedingte Kündigung. Der Betriebsrat widersprach dieser Kündigung.
Nach kurzer Diskussion war für uns klar: Das geht uns alle an. Wir werden Brigitte im Kampf gegen diese politische Kündigung unterstützen. Aber wie?
Am 8. Februar 2005 traf sich eine Vorbereitungsgruppe. Wir waren uns einig: Es muss ein Solidaritätskreis her. Ein Flugblatt wurde erstellt, das den Skandal bei Vivantes darstellte und zur Gründung eines Solidaritätskreises einlud. Verdi unterstützte uns nach einigem Hin und Her mit der Bereitstellung von Räumlichkeiten. Ein schnell erstelltes Flugblatt wurde von uns im Forum für Senioren u.a. Vivantes-Krankenhäusern breit verteilt. Es schlug ein wie eine Bombe. Kurz danach bekam Brigitte ihre fristlose Kündigung „wegen des Verdachts zur Erstellung eines Flugblattes“. Die dritte Kündigung bekam sie nach Erscheinen eines Artikels in der Zeitung „Neues Deutschland“. Zu dieser Zeit war Brigitte nicht in Berlin, sondern in ihrer Kur.
Am 25. Februar 2005 trafen sich 20 Personen aus unterschiedlichen Berufsgruppen und gründeten den Solikreis „Menschenwürdige Pflege“. Wir beschlossen einstimmig Prinzipien für unsere Arbeit (siehe Seite 20). Ganz entscheidend war für uns die politische und finanzielle Unabhängigkeit.
Wir wählten einen Kassierer, eine Kassenprüferin und einen Koordinierungsausschuss. Da wir alle noch keine Erfahrungen mit einem Solikreis gemacht hatten, musste vieles neu gelernt werden.
In einem Punkt waren wir uns alle einig: die Kolleginnen und Kollegen sind die entscheidenden Kräfte. Auf sie müssen wir uns stützen, sie aufklären und für den Solikreis gewinnen. Von Beginn an hatten wir auch bundesweit Kontaktpersonen, die wir regelmäßig über unsere Arbeit informierten. Wir bauten eine Adressenliste auf und trafen uns regelmäßig im Verdihaus. Alle entscheidenden Fragen wurden auf unserem Treffen gemeinsam diskutiert und abgestimmt. Das gilt für die Inhalte der Flugblätter, die Verteilaktionen und die Einsatzorte. Auch bei Personalversammlungen von Vivantes waren wir mit unseren Flugblättern beim Verdi-Stand präsent.
Den 1. Mai 2005 nutzten wir und haben an dem Verdi-Stand weitere Unterschriften gesammelt. Es gab große Sympathie der Kolleginnen und Kollegen, die sich in unsere Unterschriftenlisten eintrugen. In kurzer Zeit kammen ca. 1000 Unterschriften gegen die Kündigungen von Brigitte Heinisch zusammen.
Wir bekamen immer mehr Informationen aus den verschiedenen Heimen des Vivanteskonzerns. Parallel sammelten wir Spenden und konnten Dank der Unterstützung von „Solidarität International“ ein Spendenkonto einrichten. Die Zusammenarbeit mit einem Betriebsrat und der Verdi- Betriebsgruppe Krankenhaus Neukölln entwickelte sich positiv und ist heute nicht mehr wegzudenken.

Kommentar zum Prozessgeschehen von Ilse Kather:

Liebe Freunde,

der Prozess Brigittes gegen Vivantes zur Rücknahme der politischen Kündigung war ein politisches Lehrbeispiel über die Rolle der Justiz und ihrer Gerichte. Wer mit der Illusion gekommen war, dort werde wirklich Recht gesprochen, wurde eines Besseren belehrt.
Es waren ca. 50 Leute anwesend, davon einige Schüler/innen, Auszubildende, Jugendvertreter Transnet. Folgende Medien waren anwesend: rbb-Fernsehteam, die auch ein Interview mit Brigitte machten, (zu sehen in der rbb-Abendschau), die Berliner Zeitung, die Morgenpost und eine Journalistin der Bildzeitung.
Die Richterin gab eindeutig in ihrer Ausführung zu erkennen, dass das Recht auf freie Meinungs- äußerung für Brigitte über Missstände im Pflegebereich bei Vivantes nur eingeschränkt gelten könne. Der Leumund des Unternehmens darf keinen Schaden nehme, das sei geschäftsschä- digend und der soziale Frieden müsse erhalten bleiben. Da Brigitte das erste Flugblatt über ein Dienstfax an eine Kollegin gesendet hat und dort von der Kollegin verteilt wurde, müsse unter- stellt werden, dass Brigitte sich mit dem Inhalt des Flugblattes identifiziere, auch wenn ihr die Herstellung des Flugblattes nicht nachgewiesen werden könne. Außerdem störte sich die Richterin sehr an der Begrifflichkeit im Flugblatt "Profitgier auf Kosten von Patienten und Kolleginnen". Das wäre ja ziemlich unangemessen.
Wenn Vivantes selbst von Profitcentern spricht, ist das normal, aber wenn wir das anprangern und die Sache beim Namen nennen, dann ist das unangemessen und übertrieben.
Und seit wann ist es strafbar, Artikel bzw. Flugblätter an eine Kollegin weiterzugeben? Ist es strafbar, wenn ich den aktuellen Artikel der Bildzeitung weitergebe, weil dort Brigittes Fall dargestellt wird? Muss die Abendschauredaktion neuerdings die Geschäftsführung eines Konzerns fragen, ob ein Interview mit einer Kollegin gesendet werden darf? Wären dann die Redaktionmitarbeiter zu verklagen, weil damit der sozialen Frieden gefährdet wäre und sie als klammheimliche Sympathisanten die Meinung der Kollegin teilen? Oder haben sie sie sogar angestiftet? Das nennen wir Sippenhaft. Wir lassen uns von niemanden das Wort und unsere Meinung verbieten. Von keinem Gericht der Welt. Die Wahrheit lässt sich nicht verbieten. Dazu stehen wir.
Brigitte, tapfer wie immer, stellte die unmöglichen Bedingungen und Zustände im Pflegebereich Forum für Senioren dar und auch der Personalsachbearbeiter, Herr Krümmel, hat zugestanden, dass die Zustände im Heim im Jahre 2003 so waren, wie von Brigitte geschildert. Aber 2004 wäre schlagartig alles besser gewesen. In dieser Zeit, Januar 2004, stellte Brigitte die Strafanzeige mit Hilfe eines Anwalts bei der Staatanwaltschaft gegen Vivantes wegen Betrug und Nötigung. Alle internen Beschwerdemöglichkeiten waren erfolglos geblieben. Die Staatsan-waltschaft ermittelte nicht und stellte das Verfahren mit der Begründung ein, dass sie für Missstände im Pflegebereich nicht zuständig sei. Interessanterweise hat sich Vivantes nie zu der Strafanzeige während des Verfahrens geäußert. Es ging Vivantes immer darum, einer mutigen und unbequemen Kollegin den Mund zu verbieten und ihr das Recht auf Meinungsfrei- heit zu verweigern. Die Vivantes-Geschäftsführung hat Angst, dass dieses Beispiel Schule macht. In welchem Land leben wir eigentlich, dass die Menschen aus Angst ihre Meinung nicht öffentlich äußern, weil die Kündigung droht !

Es muss festgehalten werden, dass es die Richterin überhaupt nicht interessierte, welche Zustände bei Vivantes Forum Senioren herrschen.
Das Gericht zog sich zur Beratung zurück und konnte keine Uhrzeit nennen, wann die Entscheidung bekannt gegeben wird. Wir hatten den Eindruck, dass es ohne die Öffentlichkeit sein sollte. Aber die meisten von uns blieben da. Brigitte wurde vom rbb-Fernsehteam und anderen Journalisten interviewt. (Die Abendschau brachte am selben Abend den Beitrag, die Bildzeitung einen Artikel mit Foto am 15.02.06, der Tagespiegel einen sehr ausführlichen Beitrag auf S. 3 am 25.02.06)

Wir nutzten die Zeit und diskutierten vor dem Gerichtssaal lautstark über Meinungsfreiheit, Rolle der Justiz und wie wir weiter an die Öffentlichkeit gehen werden. Das hat auch die Richterin sehr wohl gehört. Dann war es soweit. Die Richterin traute sich nicht eine Entscheidung zu fällen. Das wäre ein politisches Urteil geworden und hätte noch mehr Öffentlichkeit hergestellt.

Sie stellte plötzlich die Strafanzeige Brigittes bei der Staatsanwaltschaft in den Vordergrund und legte Brigitte auf, den Betrug und die Nötigung zu belegen. Vivantes habe innerhalb von drei Wochen darauf schriftlich zu antworten. Das Gericht setzte einen neuen Termin an.

Das war für uns der nächste Sieg. Brigitte kann alles belegen und es ist schon beim letzten Prozess gerichtlich erfasst worden. Natürlich geht so eine Auseinandersetzung nicht spurlos an Brigitte und uns vorüber. Aber die große Solidarität und dass immer mehr Menschen, auch Kolleginnen und Kollegen von Vivantes, uns unterstützen, gibt viel Kraft und Zuversicht. Zum nächsten Prozesstermin hat Markus Breitscheidel, Autor des Buches "Abgezockt und Totgepflegt" seinen Besuch angekündigt.
Wir werden weitermachen und nicht aufgeben. Demnächst wird das nächste Flugblatt fertig gestellt und eine kleine Broschüre in DIN A5 über diesen Fall ist im Entstehen. Wir würden uns freuen wenn Betroffene, Patienten, Pflegekräfte, Ärzte, Angehörige u.a., uns noch kleine Berichte zusenden. Bitte angeben, ob der Name veröffentlicht werden soll. Schön wären auch kurze Statements, warum die Arbeit des Solikreises unterstützenswert ist. Bitte bis zum 8. März 06 an mich schicken. Diese Broschüre soll dann verkauft werden und soll eine zusätzliche Einnahmequelle für unsere Arbeit sein.

Wie immer haben wir eine halbe Stunde vor dem Prozessbeginn eine Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude abgehalten und eine Solidaritätserklärung für die streikenden Kolleginnen und Kollegen des Öffentlichen Dienstes verabschiedet.

Am 28.03.02 wurde die Verhandlung wieder aufgenommen, und die Richterin Frau Reber stellte heraus, dass Beschäftigte grundsätzlich sich dem Arbeitgeber gegenüber loyal zu verhalten hätten. Sie unterstellte Brigitte, dass diese einen "Rachefeldzug" gegen die Vivantes-Geschäfts- führung geführt hätte. Sie hätte die Anzeige gegen Vivantes "ins Blaue" hinein gestellt, weshalb die Klage gegen Vivantes abgewiesen werden müsse, ohne dass Brigitte in Berufung gehen darf.

In einem an die Öffentlichkeit gekommenen Gutachten des MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) über das Heim, in dem Brigitte gearbeitet hat, stellte sich heraus, dass die Mängel (auch in der Dokumentation) noch weit gravierender waren, als von Brigitte im Prozessverlauf angegeben. Es wurde sogar mit Schließung des Heimes gedroht. Von einer Anzeige "ins Blaue" kann keine Rede sein! Das über 50 seitige Dokument kann hier eingesehen werden. Von der Website ungesundleben.de wurde auch eine Kurzfassung hergestellt

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Hier das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 28.3.06 als PDF

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Kommentierung des Urteils, von www.ungesundleben.de :
"Unabhängig davon, wer in diesem konkreten Fall Recht hat: Nach diesem Urteil darf eine Arbeitnehmerin, wenn sie mit eigenen Augen sieht, wie ihr Arbeitgeber Dioxin in den Wannsee kippt, nur dann zur Polizei gehen, wenn sie im Voraus weiß, dass den zuständigen Stellen der Tatnachweis gelingt. Gelingt diesen Stellen der Tatnachweis nicht, so hat die Arbeitnehmerin eben deshalb ihre Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber verletzt. Wegen der Erfolglosigkeit der Ermittlungsarbeit wäre dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung natürlich auch nicht zuzumuten - wo käme man da hin! Loyalitätspflicht der Arbeitnehmerin wäre es gewesen, den Arbeitgeber zu bitten, kein Dioxin mehr in den Wannsee zu kippen, und danach den Vorfall zu ignorieren. Das Gericht scheint das Ansehen des Arbeitgebers schützen zu wollen. Tatsächlich schadet eine Strafanzeige dem Ansehen des Arbeitgebers. Dieser Umstand und der Wunsch, das Ansehen des Arbeitgebers zu schützen, scheint dazu geführt zu haben, dass dem Gericht eine begriffliche Vermischung mit dem Recht unterlaufen ist, sich in der Öffentlichkeit vor unbelegten Vorwürfen schützen zu dürfen. Im Effekt dieser Vermischung werden die Rechte von ArbeitnehmerInnen als BürgerInnen eingeschränkt und der Schutz alter Menschen vor Missständen in der Pflege erschwert."

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Hier die Kommentierung des Urteils von Dr. Deisenroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht

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Die Beschwerde vor dem BAG war nicht erfogreich. Die Ablehnungsgründe des BAG, die Brigitte Ende Juni 2007 zugestellt wurden, können hier eingesehen werden. .

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Im August 2007 legte Brigitte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Der Text kann hier eingesehen werden.
Inzwischen wird, nicht zuletzt durch Brigittes (und des Solikreises) hartnäckigen Kampf, republikweit über skandalöse Zustände in der Altenpflege diskutiert. Dieser Stein wurde "ins Rollen gebracht", unabhängig davon, wie die juristischen Bewertungen des Falles ausfallen.
Hoffen wir, dass es nicht bei Diskussionen bleibt, sondern dass auch Verbesserungen für die alten und kranken Menschen sichtbar werden.

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Gegen Mitte Dezember 2007 kam die Ablehnung des Bundesverfassungsgerichtes in Haus.
Die Ablehnung der Beschwerde wurde nicht begründet. Wer einen Blick auf diesen Bescheid werfen will, klickt hier.
Im Solikreis wird derzeit diskutiert, ob Brigitte vor den Europäischen Gerichtshof tritt.

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